Sous Vide Garen. Im Komposthaufen.

Himmelfahrt, Männertag: Alkoholisierte Horden meist männlicher Angehöriger der Spezies homo sapiens marodieren durch die Lande. „Sapiens“ ist schon an allen anderen 364 Tagen im Jahr nicht mehr als eine kühne These, jedoch an diesem speziellen Tag für weite Teile der Gattung homo definitv unzutreffend. Aber wem sag ich das, ich bereite heute Rehfleisch im Komposthaufen zu – wer bin ich also, über die Zurechnungsfähigkeit Anderer zu urteilen? Genau.

Aber der Reihe nach!

Präludium
Himmelfahrt fällt dieses Jahr auf einen brummschen Geburtstag, es wird also zum Brunch geladen. Meine Eltern und mein Bruder mit Familie wohnen ja direkt nebenan, und weil das Wetter schön ist, liegt so’n Geburtstagsbrunch nicht nur entfernungstechnisch nahe. Es kommt noch jemand aus der Verwandschaft meiner Schwägerin vorbei, also finden sich insgesamt vier Familien am späten Morgen beim Geburtstagskind ein. Brunch steht ja für breakfast und lunch, das Wortspiel funktioniert ausnahmsweise auch im Deutschen: Frühstück & Mitagessen = Fressen. Passt!

Das Wetter spielt mit, die Kinder spielen im Garten, wir Großen wechseln uns mit dem Aufpassen ab. So gehen die Stunden dahin, das Essen wird irgendwann abgeräumt, Alkohol fließt nur sehr spärlich (wir sind alle keine wirklich trainierten oder ambitionierten Säufer, selbst an so Tagen wie heute sind keine Alkoholexzesse zu erwarten), trotzdem wird sich natürlich angeregt unterhalten. Die Gesprächsthemen mäandern von Kindern und Kinderkriegen über Politik und Krieg bis hin zu aktuellen Nachbarschaftsstreitigkeiten quer durch alle möglichen Konversationsregionen.

Bis hierhin absolut nix, worüber ich bloggen würde. Gehn Sie weiter, hier gibt es nüscht zu sehen…

Akt 1
Irgendwann am späten Nachmittag kommt das Tisch- bzw. Terrassengespräch auf meinen Komposthaufen, den ich vor 5 Tagen neu aufgesetzt habe: Rasenschnitt und Herbstlaub, immer schön geschichtet. Ich hatte heute im Laufe des Tages interessehalber mal kurz das Kompostthermometer reingehalten. Ergebnis: Immer noch 70°C – und das nach fümpf Tagen.

Daraufhin mein Bruder: „Musste eigentlich mal ein Stück Fleisch reinversenken und Sous Vide garen, höhö!

Ab hier nahm der Wahnsinn seinen Lauf.

Akt 2
Ich habe ein Vakuumiergerät, das ich bestimmt zwei Jahre lang nicht benutzt habe. Aber kein Fleisch im Kühlschrank. Mein Bruder hat lediglich Chicken Wings da, und Geflügel Sous Vide garen… lieber nicht, Salmonellen und Medikamente und so.

…aber.

Akt 3
Mein Vater hat diese Woche von einem befreundeten Jäger einen Rehbraten bekommen, da kannste dir ne Scheibe abschneiden. Bruderherz googelt daraufhin Sous Vide Temperaturen und Zeiten. Für Wild: 60-65°C für ne knappe Stunde. Aha…

In einer Stunde ist gerade mal beginnende Abendessenzeit, das würde passen. Es wird langsam ernst: Uns geht auf, dass es keine ernsthaften Argumente gibt, die zwischen uns und dem Experiment stehen.

Brumme Senior holt das Testmaterial: Ein gößeres Fitzelchen Rehbraten und ein kleines Stück Hirschgulasch. Natürlich nicht den ganzen Braten, uns reicht ja schon ein kleines Teststück.

Gewürzt wird mit Salz und Paradieskörnern. Das ist so ne Art Vorläufer des Pfeffers, der im Mittelalter von… ach, lest doch einfach selbst nach wenn’s euch interessiert, verlinkt isses ja. (c;

Rehbraten (groß) und ein Stück Hirschgulasch (klein)

Das Fleisch wird gewürzt und dann vakuumiert:

Akt 4
Damit uns das später auch jemand glaubt, könnten wir das Ganze ja nicht nur fotografieren – ich hätte eh nebenbei geknipst – sondern ne Zeitrafferaufnahme machen… Was heißt könnten? Ich hole die Actioncam, mit der ich vor ein paar Wochen schon die Vorzucht-Pflanzen gezeitraffert hatte. Am Kompost gibt’s keinen Strom, daher bekomme ich die brüderliche Outdoor-Solar-Powerbank gestellt. Filmequipment: Check. Energieversorgung: Check. Gargut: Check. Der große Gartenzwerg sponsort seinen Wecker, den wir auf den Kompostbackofen stellen, damit die Zeit auf dem Film irgendwie erkennbar ist. Auch Check.

Das Setup

Lange Rede, kurzer Sinn – hier der Zeitrafferfilm. Viel ist darauf nicht zu sehen, das ist quasi nur der filmische Beweis, dass wir uns das Ganze nicht ausgedacht und irgendwie mit Fotos gefaked haben.

Nochmal für’s Protokoll: Der Komposthaufen ist erst vor wenigen Tagen (21.5.22) komplett neu aufgesetzt worden, schichtweise mit frischem Rasenschnitt und 2021er Herbstlaub, das bis dato unter einem dichten Lebensbaum relativ regengeschützt auf nem großen Haufen lag und quasi unverrottet war. Seitdem ist die Temperatur im Inneren des Haufens auf 70°C gestiegen, und heute (26.5.22) – jawoll, wir ziehen das jetzt durch! – garen wir Wild da drinne.

18:07 Uhr: Das Fleisch wird gut verkauumiert im 70°C warmen Komposthaufen versenkt. Wir sind irre. Ganz ohne Alkohol.

Während das Fleischexperiment im Kompost gart, essen wir erstmal was Richtiges. Bunter Couscous-Salat mit ner Tomate, leider noch keine eigene. Schmeckt mehr nach Wasser im vierten Aggregatszustand, aber hey, wozu gibt’s Gewürze? Trotzdem: Ich kann’s kaum erwarten, endlich wieder eigene Tomaten zu ernten, mit richtigem Geschmack. Hach wird das toll! (c:

Aber der Lauch, der ist aus eigenem Anbau. Immerhin.

Akt 5
19:15 Uhr: Mann bin ich hibbelig! Ich steh ja auf solche spontanen und abgedrehten Experimente. Was soll schon schiefgehen? Im schlimmsten Fall ist das Fleisch halt ruiniert, aber wir haben ja nur ein paar kleine Fitzelchen genommen und kein großes Stück.

Gut, im wirklich schlimmsten Fall holen wir uns ne fiese Lebensmittelvergiftung und müssen am Männertag in die Notaufnahme. Ein guter Freund von mir ist Notarzt, ich kenne also die Geschichten von dort aus erster Hand. Speziell am Männertag eskaliert dort die Lage, die Begebenheiten kannste nicht verfilmen, weil einem das keiner abnehmen würde.

Ach komm, das ist so unwahrscheinlich… Wird schon gut gehen! Nach einer guten Stunde sieht das Fleisch schon fast durch aus, wenn auch nicht wirklich appetitlich:

Hmmm, irgendwie isses mir noch’n bissel zu rot, aber ich bin jetzt nich wirklich der Wildexperte vor dem Herrn. Sous Vide-Erfahrung hat eh keiner von uns. Vermutlich steckte der Vakuumbeutel nicht tief genug im Kompost, war also nicht ganz so warm eingepackt wie die Spitze vom Thermometer. Also nochmal ne gute halbe Stunde rein, diesmal etwas tiefer im Haufen. Beim Reinstecken merkste schon: Das ballert, da ist ordentlich Hitze drin!

Akt 6
19:45 Uhr: So, länger sollte das jetzt nicht dauern!

Diesmal kommt der große Gartenzwerg mit und filmt mich beim Rausholen, Auspacken und Verkosten, weil auf’m Zeitrafferfilm siehste davon ja nüscht. Ich finde, er hat seine Sache als Kameramann gut gemacht.

Ergebnis:

Voller Erfolg, ohne Abstriche. Das Fleisch ist sowas von zart und butterweich, das geht gar nicht!

Die Würzung mit Salz & Paradiskörnern ist auf den Punkt, Hut ab vor meinem Brüderchen. Der Teller wird jetzt schnell noch zu beiden Familien getragen zwecks Verkostung, schließlich hat jeder was beigetragen. Krasser shice.

Postludium
Ich hatte zwar gehofft dass das klappt, weil dem in der Theorie eigentlich nix entgegenstand, aber so wirklich daran geglaubt hatte ich ehrlich gesagt nicht. Das ist ja oft so, dass die Theorie das Eine ist und erst in der Praxis sich dann zeigt, woran es dann scheitert. Meistens halt irgendwas, das man übersehen hat… Und mal ehrlich: Es muss doch einen Grund geben, warum wir alle noch nie was von soner Methode gehört haben! Wenn das keine bekannte Zubereitungsmethode ist, dann sicher nicht weil vor’m Daniel oder dem Daniel seinem Bruder noch niemand darauf gekommen ist. Kompostwärme ist schließlich kostenlos und so!

Ich google natürlich nach „sous vide im Kompost“ und finde…nüscht. WTF?¿!? Kann doch nich sein dass ich der Erste bin der auf sone Idee kommt! Auch bei youtube: Erstmal nüscht. Nächster Versuch, diesmal englische Begriffe. Mal sehn ob’s international mehr Idioten wie mich gibt: „sous vide in compost heap“ – na bitte, ich bin nicht der Erste. Guckst du hier und hier und hier. Später finde ich dann auch bei youtube noch was Relevantes, habe aber den Verdacht dass mein Experiment am Ende besser geschmeckt hat als seins. Who knows, vergleichen können wir’s jetzt eh nicht mehr. Zumindest finde ich dass meins besser aussah. Und: Ich hab keinen Braten auf nem Schneidbrett aus Plastik flambiert. Ürx!

Nachtrag: Gleich nach dem Upload bei youtube listet google die Videos in den Suchergebnissen – ich bin sofort auf Seite eins geschossen damit. Wahnsinn!

Fazit
Ich fasse es immer noch nicht, dass Kompostküche scheinbar kaum verbreitet ist. Kostenlose Energie, über die gesamte Zubereitungszeit konstante Temperaturen, absolut simpel zuzubereiten… What else do you need? Das Einzige was suboptimal war, ist die Optik des Fleisches. Grau ist eben nich so die leckerste Farbe bei Fleisch… Und es fehlt halt ne schöne Kruste, und der rötliche Fleischsaft – nein, das ist kein Blut, was da auf dem Teller rumsuppt! – ist auch nicht so der Bringer für’s Auge. Aber Geschmack und Textur reißen das locker raus.

Das Ganze wird definitv wiederholt werden! (c:

Die Fortsetzung

Weil’s so gut geklappt hat, wurde der komplette Rehbraten am nächsten Tag genauso zubereitet:

In dünne Scheiben geschnitten und mit Salz & Pfeffer gewürzt…

…einvakuumiert…

und im Haufen für ca. 2 Stunden gegart.

Danach hab ich das Fleisch schnell nochmal scharf angebraten, damit es ein bisschen Kruste bekommt und eine leckerere Farbe.

Das Ergebnis hat allen geschmeckt. Die brummsche Küche ist damit offiziell um eine Zubereitungsart reicher. (c:

7 responses to “Sous Vide Garen. Im Komposthaufen.”

  1. Sonja Berndl sagt:

    Hallo Daniel,

    ich konnte der Sous-Vide-Garmethode bisher nichts abgewinnen. Langzeitgaren geht auch ohne Plastik. Aber dein Experiment ist zumindest lustig. Und vielleicht sogar survival-tauglich. Wenn man irgendwo wie Freitag in „Robinson Crusoe“ auf einer einsamen Insel festsitzt. Selbst an Plastik wird man da dank des Plastikmülls überall auf der Welt rankommen.

    • Der Brumme sagt:

      Ja, der Plastik-Aspekt ist doof, das stimmt. Zumindest wenn die Tüte nur einmal benutzbar ist. Klar, man kann knapp hinter der zugeschweißten Stelle aufschneiden und die kürzer gewordene Tüte noch mehrfach benutzen, bis sie zu kurz geworden ist – das mildert das Müllproblem etwas. Trotzdem… außerdem hab ich ein unangenehmes Bauchgefühl dabei, dass das Essen im Plastik erhitzt wird, denn ich weiß nicht ob das Material für’s Erhitzen gedacht ist, oder ob da irgendwelche Bestandteile ins Essen übergehen.

      Das Ganze ist also definitv noch optimierbar.

      Das war ja gestern das allererste Mal dass wir Sous Vide ausprobiert haben. Völlig spontan, abgesehen von der ergoogelten Garzeit und -temperatur komplett ohne Vorwissen.

      Wie würdest du das plastikfrei machen? Wir hatten kurz diskutiert, ob man das Gargut in einen Topf oder eine Pfanne mit dicht schließendem Deckel tun und die dann verbuddeln könnte, aber ich vermute die Luft im Topf würde die Wärme nicht gut genug leiten, und die Oberseite des Fleisches bekommt nicht genug Hitze ab. Alternativ kann man mehrere Lagen Alufolie nehmen, aber die produziert auch wieder Müll..

      Was die Survivalei angeht: Das funktioniert nur mit einem entsprechend heißen Komposthaufen, d.h. der muss vermutlich ein paar Tage vor dem Einsatz als „Backofen“ erstmal frisch angelegt werden. Klar, man kann ihn dann mehrere Tage lang nutzen, damit kann man den Aufwand vielleicht rechtfertigen. Aber erstens hinterlässt man damit Spuren in der Natur – und meistens will man ja möglichst wenig verändern bei Outdoortätigkeiten – und zweitens ist man auf einen festen Stützpunkt/Camp angewiesen – wer wandert und jeden Tag woanders ist, für den fällt diese Methode aus. Für Survival im wortlichen Sinne, also wenn’s tatsächlich Robinson Crusue-mäßig ums Überleben geht, spielt das dann aber sicher keine Rolle, klar. Plastiktüten as Müll würde ich definitv nicht verwenden, außer vielleicht in einer wirklich derben Zombieapokalübbse. Selbst wenn man ne alte Tüte vom Müll sauber bekäme, die sind definitv nicht dafür gemacht, bei Hitze chemisch stabil zu bleiben, wer weiß was für Zeugs da ans Essen abgegeben wird. Am Ende zombifiziert uns das dann auch! (c;

  2. Baba Radem sagt:

    Unglaublich, der Brumme! Tolle Idee, für die Röstaromen kannste das Fleisch ja nochmal kurz nachbraten, macht man beim Sous Vide garen sonst auch gerne so. Guten Appetit für die nächsten Kompostbraten!

  3. […] Neulich hatte ich den Haufen neu aufgesetzt, eine knappe Woche vor Himmelfahrt war das. Und ein paar Tage später – genau an Himmelfahrt – herrschten dann 70°C im Inneren des Haufens. Woraufhin wir leckeres Reh á la Kompost gegessen hatten. Guckst du hier. […]

  4. […] seitdem fleißig ausprobiert hätte. Der Haufen war im Mai kurzzeitig heiß genug, dass wir ihn zum Sous Vide Garen verwenden konnten. Immer noch eine meiner liebsten Gartengeschichten. […]

  5. […] jetzt der Kontext fehlt: Das hatten wir Himmelfahrt 2022 genauso spontan wie erfolgreich ausprobiert. Sehr amüsant war das, und […]

  6. […] in die Speisekammer gewandert, und ja klar – letztes Jahr gab’s im Mai das legendäre Sous-vide Reh aus dem Komposthaufen. Aber das zählt nicht, weil das kein Haltbarmachen war. Viel öfter kam das Gerät nicht zum […]

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