Ich habe ein Problem

Montag Abend, kurz vor 20 Uhr. Der Stuhlkreis ist reichlich zur Hälfte besetzt, wieder bleiben viele Stühle leer. Wie immer. Niemand kommt gern hier her. Niemand gibt gern zu, ein Problem zu haben.

Aber wer kommt, kommt immer wieder. Weil sie hier Verständnis finden. Keine Hilfe, aber wenigstens Leidensgenossen. Menschen, die sie wirklich verstehen, die nicht nur so tun als ob es ihnen genauso geht und die nach ein paar höflichen Floskeln das Thema wechseln. Oder den Raum.

Ein knappes Dutzend Leute sitzen da. Menschen wie du und ich, auf der Straße würde man sich nicht nach ihnen umdrehen. Niemand ist besonders modisch gekleidet, aber auch keine abgehalfterten Gestalten. Einem aufmerksamen Beobachter könnte auffallen, dass fast alle dreckige Fingernägel haben. Mehrere haben leicht bis mittelschwer verschmutzte, grobe Schuhe. Auffällig viele tragen Arbeitshosen: Ausgewaschener, derber, widerstandsfähiger Stoff, viele Taschen. Kein Lifestyle-Zeug von Engelbert Strauß, nix Neues. Kleidung, mit der man tatsächlich arbeitet und der man das auch ansieht.

Die meisten in der zweiten Lebenshälfte, viele Rentner. Aber auch ein paar Mittdreißiger und alles dazwischen. Die Jüngste vielleicht Anfang Zwanzig, sie ist mit ihrem Freund da. Beide mit Threadlocks und Ökoklamotten, hektisch mit dem Smartfon hantierend und miteinander flüsternd. Ein paar Jahrzehnte zu spät, um wirklich Hippies zu sein. Sie zeigen ihrem Nachbarn das Display, wischen ein paar Fotos weiter, fragen ihn leise etwas. Der Rentner schüttelt den Kopf, raunt etwas zurück. Er reisst eine Seite aus seinem kleinen abgeranzten Notizbuch, schreibt etwas auf. Ein Name und eine Adresse wechselt den Besitzer, das Pärchen bedankt sich lächelnd.

Auf der anderen Seite des Stuhlkreises steht ein Rentner auf, räuspert sich. Vermutlich der Älteste hier.

„Wollen wir anfangen…?“

Zustimmendes Nicken und Murmeln.

Es klopft verschämt, die Tür öffnet sich vorsichtig. Ein Mann steckt den Kopf durch den Spalt. Mitte Vierzig, Jeans, Windjacke, Stoffbeutel. Fragender Blick.

„Hallo, sind das hier die Anonymen Gärtner?“

Der Fast-Renter nickt lächelnd und winkt ihn rein.

„Hast Glück, wir haben gerade noch so Plätze frei!“ sagt er und geht mit einem Grinsen auf den Neuankömmling zu. „Ich bin Jürgen, freut mich dass du da bist! Such dir einen aus.“ Er deutet zwinkernd auf die vielen freien Stühle.

Der Neue lächelt. „Daniel. Hallo zusammen!“ Die Anderen grüßen und lächeln.

Eine Viertelstunde später ist die obligatorische Begrüßungs- und Vorstellungsrunde durchstanden, Daniel kennt jetzt alle.

Jürgen, der den Kreis vor zwölf Jahren mit seinem Nachbarn Helmut aus der Gartenanlage gegründet hat, als beiden klar wurde dass sie am liebsten ganzjährig in der Laube wohnen würden. Zusammen mit einer Handvoll anderer Hardcore-Kleingärtner hatten sie es geschafft, sich in Schlüsselpositionen des Kleingartenvereins wählen zu lassen und einige wichtige Punkte in der Satzung ihren Bedürfnissen anzupassen. Bei der Siegesfeier im kleinen Kreis wurde ihnen dann klar, dass sie alle ein grünes Suchtproblem hatten.

Doris, die engagierte Lehrerin, die am liebsten von Montag bis Freitag im Schulgarten werkeln täte und die es tatsächlich schafft, die Kids auch dafür zu begeistern. Die lieber in der Erde wühlen als zocken, die Säen, Pflanzen, Ernten und dann zusammen Kochen. Doris, die sich hier bei den Anderen Rat geholt hat, wie sie ihrem Chef ihre Budgetwünsche und Flächenerweiterungen verargumentieren kann.

Tobias und Mandy, das junge Pärchen mit dem heruntergekommenen Bauernhof, das neulich unter dem Siegel der Verschwiegenheit gestanden hat, dass sie auch „was zum Rauchen“ anbauen. Jetzt, wo das ja bald legal wird.

Die Namen der Anderen sitzen noch nicht, aber das kommt noch. Daniel fühlt sich schon jetzt wohl hier, das merkt er schnell. Gleichgesinnte, endlich auch im echten Leben und nicht nur online!

Jürgen ergreift das Wort. „Lasst uns loslegen, wir wollen’s nicht in die Länge ziehen. Jetzt im März haben wir alle genug mit der Vorzucht zu tun, nor? Ich muss heute Abend noch Zwiebeln und Lauch säen.“

„Ist etwa noch Wurzeltag? Ich dachte der war nur bis heute früh!“ Hektisch holt der Nachbar von Mandy ein gelbes Heft aus seinem Rucksack und blättert.

Doris schüttelt den Kopf. „Bis Mitternacht, und morgen ab neun wieder. Und den ganzen Mittwoch, und Donnerstag bis früh um Fünf, falls du’s wieder nicht eher schaffst, Uwe.“ Alle grinsen, Uwe auch. Und Daniel freut sich, weil er nicht mehr der Einzige ist, der nach Thun gärtnert. Endlich mal Leute, die einen nicht komisch angucken und denen man nicht den Unterschied zwischen astronomischem und astrologischem Tierkreis erklären muss. Herrlich!

Er meldet sich schüchtern. „Ähm, braucht jemand vielleicht noch Tomaten? Also nicht jetzt, sondern Ende April oder Mitte Mai oder so…“

Es wird still. Alle Augen richten sich auf den Neuen, aber der peinliche Moment dauert nicht lang. Man ahnt was kommt. Sie alle sind da gewesen, die meisten jetzt noch. Das wird man niemals richtig los. Ermunternde Blicke, aber Daniel ist jetzt eh nicht mehr zu bremsen.

„Also, ich hab echt versucht mich mit der Sortenauswahl dieses Jahr zurückzuhalten. Fünfundzwanzig Sorten, das sind fünf weniger als letztes Jahr. Gut, insgesamt sind’s wieder so um die hundertzwanzig Pflanzen, aber ich verschenke ein gutes Drittel an die Familie und Freunde und Kollegen, und selbst wenn ich dann noch ein paar Geiztriebe wurzeln lasse, sind hundert Pflanzen nicht so schlimm wie sich’s anhört. Ich hab ein Dörrgerät, da geht viel rein. Trockentomaten halten sich wunderbar und schmecken herrlich intensiv. Genial für Soßen und Pizza, und die Kinder naschen manche Sorten wie Bonbons weg!“

Nicken ringsrum. Dörrgerät hat fast jeder.

„Na jedenfalls hab ich am Wochenende ausgesät, dieses Jahr halt erst Ende März, weil ich Fruchttage und Pflanzzeit abwarten wollte und das vom Kalender her anders nicht gepasst hätte, Ende Februar war mir noch zu zeitig…“

Wieder nicken alle, Uwe tippt grinsend mit dem Kuli auf sein gelbes Heft. „Ging mir auch so, hab auch gestern erst gesät.“

Das Eis ist längst gebrochen, Daniel ist angekommen. „Naja und als ich dann so am Säen war, dachte ich… weil einige der Samen schon vier oder fünf Jahre alt sind, …vielleicht keimen da nur noch wenige, und da tue ich lieber je zwei in die Quickpots… Ich kann ja dann die jeweils schwächere Pflanze abknipsen.“

Verständnisvolle Blicke ringsrum. Jeder weiß, was jetzt kommt.

„Naja, aber eigentlich war mir sofort klar, dass ich das dann nicht machen werde, also außer wenn die echt total mickrig sind. Aber wenn die jetzt alle kommen und kräftig sind, dann hab ich um die zweihundert Pflanzen…“

[ENDE]

Was ich damit sagen will?

Dass ich vorgestern möglicherweise einen Fehler bei der Tomatenaussaat gemacht habe. So rein mengenmäßig.

Braucht wer Tomatenjungpflanzen, so Ende April, Mitte Mai? Kann sein dass ich welche übrig haben werde. (c;

3 responses to “Ich habe ein Problem”

  1. Katharina sagt:

    Herrlich , Danke Brumme

  2. Frank sagt:

    Leider ist 09127 ziemlich weit weg von 60439, sonst würde ich mich auch gern bei den anoymen Gärtnern anmelden. 😉

  3. […] dem fulminanten Start mit den Tomaten neulich (guckst du hier) sind heute die Gurken und Kürbisse dran. Die kommen gleich in die großen Vorzuchtplatten, damit […]

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